BildanzeigeEntwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Diskriminierung in Nordrhein-Westfalen
(Landesantidiskriminierungsgesetz Nordrhein-Westfalen - LADG NRW)

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Als Cochlea Implantat Landesverband NRW e.V. begrüßen wir zusammen mit dem Deutschen Schwerhörigenbund Landesverband NRW e.V. das Vorhaben, ein Landesantidiskriminierungsgesetz zu schaffen. Es ist ein notwendiger Schritt, um Schutzlücken im öffentlichen Bereich zu schließen, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bislang offen lässt.

Allerdings offenbart der vorliegende Gesetzentwurf erhebliche Schwächen, insbesondere im Hinblick auf die tatsächliche Rechtswirksamkeit und Durchsetzbarkeit für Menschen mit Behinderungen. Für hörbeeinträchtigte Menschen ist ein Diskriminierungsschutz nur dann wirksam, wenn Barrierefreiheit, angemessene Vorkehrungen und Verfahrenszugänge gewährleistet sind. Diese Voraussetzungen erfüllt der Entwurf in seiner jetzigen Form nicht.

Der Gesetzentwurf bleibt in zentralen Punkten hinter den verfassungs- und völkerrechtlichen Anforderungen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“) und der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), insbesondere den Artikeln 5, 9 und 13 zurück.

Zwar formuliert § 4 LADG NRW ein umfassendes Diskriminierungsverbot, doch der Entwurf schafft keine effektive Durchsetzungsebene und keine barrierefreie Verfahrensstruktur, die den Zugang zu Recht tatsächlich ermöglicht.

1. Fehlender Geltungsbereich für Kommunen (§ 2 LADG NRW)

Das Gesetz gilt nicht für Gemeinden und Gemeindeverbände. Gerade dort aber erleben Menschen mit Hörbeeinträchtigungen den Großteil behördlicher Diskriminierungen: in Bürgerämtern, Schulen, Sozialämtern, Ordnungsbehörden oder Pflegeeinrichtungen. Folge: Der Schutz beschränkt sich auf die unmittelbare Landesverwaltung, während der Großteil des öffentlichen Kontakts ungeschützt bleibt. Das widerspricht dem Zweck des Gesetzes, „Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu verhindern“. Forderung: Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Kommunen oder verpflichtende Übernahme des LADG-Standards durch kommunales Satzungsrecht.

2. Keine Verpflichtung zu barrierefreien Verfahren

Weder das Diskriminierungsverbot (§ 4) noch die Regelungen zur Antidiskriminierungsstelle (§ 12) enthalten Vorgaben zur barrierefreien Kommunikation. Für hörbeeinträchtigte Menschen bedeutet dies: keine Garantie für Gebärdensprach- oder Schriftdolmetschung, Untertitel, Schriftmittel, leichte Sprache oder barrierefreie digitale Kommunikation. Folge: Diskriminierungsschutz besteht nur auf dem Papier. Ohne Kommunikationsbarrierefreiheit kann niemand seine Rechte effektiv geltend machen. Forderung: Aufnahme einer ausdrücklichen Pflicht zur barrierefreien Gestaltung aller LADG-Verfahren (§ 11 neu). Verweis auf § 8 BGG NRW („Barrierefreie Kommunikation“) mit einklagbarer Wirkung.

3. Keine Anerkennung des Anspruchs auf „angemessene Vorkehrungen“ (Art. 2 UN-BRK)

Das Unterlassen notwendiger Anpassungen, etwa einer barrierefreien Anhörung oder der Bereitstellung technischer Hilfsmittel, wird im Entwurf nicht ausdrücklich als Diskriminierung definiert. Damit verfehlt der Gesetzentwurf die zentralen Anforderungen der UN-BRK. Forderung: Ergänzung des § 4 LADG NRW um: „Eine Diskriminierung liegt auch vor, wenn öffentliche Stellen angemessene Vorkehrungen im Sinne des Art. 2 UN-BRK unterlassen.“

4. Primärrechtsschutz-Obliegenheit und kurze Verjährungsfrist (§ 7 Abs. 4)

Der Entwurf verlangt, dass Betroffene zunächst einen Verwaltungsrechtsweg (Widerspruch/Klage) beschreiten müssen und begrenzt Entschädigungsansprüche auf ein Jahr. Für Menschen mit Hör- oder Mehrfachbehinderungen ist das realitätsfern: oft sind Verfahren mangels barrierefreier Belehrungen oder Unterstützung gar nicht zugänglich. Forderung: Verlängerung der Frist auf drei Jahre, automatische Fristenhemmung, solange barrierefreie Kommunikation fehlt, ausdrücklicher Anspruch auf barrierefreie Rechtsbehelfsbelehrung.

5. Fehlende Regelungen zu algorithmischer Diskriminierung

Der Entwurf erkennt zwar automatisierte Vorgänge (§ 4 Abs. 2 S. 3) als potenzielle Diskriminierungsquelle, bietet aber keine Transparenzpflichten. Menschen mit Behinderungen sind besonders von algorithmischen Selektionsverfahren (z. B. Eignungstests, Verwaltungsentscheidungen) betroffen, können jedoch ohne Datenzugang keine Indizien beibringen. Forderung: Einführung eines Auskunfts- und Offenlegungsrechts gegenüber öffentlichen Stellen über automatisierte Entscheidungsgrundlagen sowie ein verpflichtendes „Human-Review“ in barrierefreier Form.

6. Antidiskriminierungsstelle – fehlende Unabhängigkeit und Zugänglichkeit (§ 12)

Die geplante Landesantidiskriminierungsstelle wird „innerhalb der Organisationshoheit des Ministeriums“ errichtet, ohne eigene Ermittlungs- oder Anordnungsbefugnisse. Für hörbeeinträchtigte Menschen ist damit weder Unabhängigkeit noch barrierefreier Zugang gewährleistet. Forderung: Gesetzlich garantierte Unabhängigkeit (Berichtspflicht an den Landtag, keine Fachaufsicht). Barrierefreie Beschwerdewege (Gebärden- und Schriftsprachdolmetschung, visuelle Kommunikation, Online-Formulare). Pflicht zur Veröffentlichung von Empfehlungen und Missständen.

7. Keine Verbandsklage- oder Musterverfahren

  • 9 LADG erlaubt lediglich die Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände, nicht aber kollektive Rechtsdurchsetzung. Gerade strukturelle Diskriminierungen, etwa dauerhaft fehlende barrierefreie Informationssysteme oder Gebäudebarrieren, lassen sich nur kollektiv beseitigen. Forderung: Einführung einer Verbandsklagebefugnis für anerkannte Behindertenverbände nach dem Vorbild von § 12 BGG NRW.

8. Entschädigungshöhen nicht abschreckend

Der Entwurf orientiert sich an AGG-Fällen im „Massengeschäftsbereich“ (300 - 1 000 €). Das ist nicht „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ i. S. der EU-Richtlinien. Systematische oder fortgesetzte Barriereverletzungen müssen spürbare Folgen haben. Forderung: Einführung von Leitlinien mit Mindest- und Regelsätzen für strukturelle Verstöße. Bei fortgesetzter Diskriminierung durch Behörden: Verdopplung des Entschädigungsrahmens.

9. Evaluation ohne Kennzahlen oder Fristen (§ 13)

Die vorgesehene „Überprüfung“ ist inhaltsleer; es fehlen Zeitraum, Indikatoren und Berichtspflichten. So entsteht keine Rechenschaft über tatsächliche Fortschritte beim Diskriminierungsschutz. Forderung: Verpflichtende Evaluation alle drei Jahre mit Bericht an den Landtag; Kennzahlen: Zahl der Verfahren, Barrierebeseitigungsquote, Beteiligung von Menschen mit Behinderungen.

Fazit: Der Gesetzentwurf verletzt in der aktuellen Fassung das Gebot der effektiven Gleichstellung aus Art. 3 Abs. 3 GG sowie die Verpflichtung zur Umsetzung der UN-BRK auf Landesebene. Er erzeugt ein uneinheitliches, unübersichtliches Nebeneinander von Regelwerken (AGG, BGG NRW, LADG NRW), das gerade für Menschen mit Behinderungen neue Rechtsunsicherheit schafft.

 

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