Dr Lina María Jaime TobónSinnes- und Nervenzellen im Ohr kommunizieren, indem sie Botenstoffe austauschen. Wissenschaftler*innen der Universitätsmedizin Göttingen, des Exzellenzclusters Multiscale Bioimaging und des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften haben neue Details zu diesem Prozess, der die Freisetzung der Botenstoffe und damit die Weiterleitung der Schallinformation reguliert, aufgedeckt. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.

Bild: Erstautorin Dr. Lina María Jaime Tobón, Postdoktorandin am Institut für Auditorische Neurowissenschaften, mbexc/spförtner

Unser Nervensystem enthält etwa 100 Milliarden Nervenzellen, die über zirka 100 Billionen Kontaktstellen, sogenannte Synapsen, miteinander kommunizieren. Die Kommunikation erfolgt durch Botenstoffe, die für die Informationsweiterleitung zwischen Sinnes- und Nervenzellen sorgen und erlaubt es, Umweltreize zu verarbeiten, zu lernen und unser Verhalten zu steuern. Auch beim Prozess des Hörens spielen Botenstoffe bei der Übertragung der Schallinformation eine grundlegende Rolle und können ursächlich für Störungen des Hörsinns sein. Hörstörungen sind sehr häufig: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden etwa 466 Millionen Menschen, dies entspricht etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung, unter einer versorgungsbedürftigen Schwerhörigkeit. Die elementaren Prozesse des Hörens zu verstehen, ist eine wichtige Voraussetzung, um zukünftig bessere Methoden zur Behandlung von Schwerhörigkeit zu entwickeln.

Wissenschaftlerin Dr. Lina María Jaime Tobón und Institutsdirektor Prof. Dr. Tobias Moser, beide tätig am Institut für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), am Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging: von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) und am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (MPI-NAT), haben nun die Synapsen zwischen den Haarsinneszellen im Innenohr und den Nervenzellen des Hörnervs untersucht. Hier wird die eintreffende Schallinformation in ein Nervensignal umgewandelt, das den Schalleindruck präzise an das Gehirn übermittelt. Erstmals wurden einzelne Synapsen im Innenohr hörender Mäuse mittels der von Erwin Neher und Bert Sakmann in Göttingen entwickelten Patch-Clamp-Technik untersucht. Diese Methode erlaubt es, bei der Schallkodierung „zuzuschauen“. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie die Synapsen die Freisetzung des Botenstoffs Glutamat an den Schallreiz koppeln. Glutamat ist eine Aminosäure, die unter anderem an der Reizweiterleitung zwischen Sinnes- und Nervenzellen beteiligt ist. Innerhalb der Sinneszellen wird das Glutamat in „Bläschen“, sogenannten Vesikeln, zur Synapse transportiert. Der eintreffende Schall aktiviert Kalzium-Kanäle an den Synapsen, durch die Kalzium-Ionen in die Zelle gelangen und die Freisetzung von Glutamat an den Synapsen der Haarsinneszellen sorgen. Die Ergebnisse zeigen, wie die Glutamat-Freisetzung dabei mit der Stärke des Reizes zunimmt, wie also ein „Schallsignal“ in ein „Glutamatsignal“ umgewandelt wird. Die Hauptdarsteller bei diesem Prozess sind die Kalzium-Kanäle, die Kalzium-Ionen und die synaptischen Vesikel, die offenbar nur wenige millionstel Millimeter von den Kanälen entfernt liegen.

Die Ergebnisse der Studie, die durch den Exzellenzcluster MBExC und den Sonderforschungsbereich „Zelluläre Mechanismen sensorischer Verarbeitung“ (SFB 889) gefördert wurde, sind kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht worden.

Forschungsergebnisse im Detail

Beim Hören werden Schallwellen vom Außenohr auf das Trommelfell geleitet, das die kleinen Gehörknöchelchen im Mittelohr in Schwingung versetzt. Diese Schwingungen reizen schließlich die Haarsinneszellen in der Hörschnecke (Cochlea) im Innenohr. Die Haarsinneszellen wandeln den mechanischen Reiz in elektrische Aktivität um und übertragen diese auf den Hörnerv. Diese elektrische Umladung der Zelle ist umso stärker, je lauter der Schall ist. An der Synapse aktiviert der eintreffende Schall Kalzium-Kanäle, die in der Folge Kalzium-Ionen in die Zelle eindringen lassen. Botenstoffe wie Glutamat werden in den Sinneszellen in Vesikeln zur Synapse transportiert. Das in der Zelle befindliche Kalzium bewirkt wiederum eine Freisetzung von Glutamat aus den Vesikeln in den Spalt zwischen Haarsinnes- und Nervenzelle. Das Glutamat kann jetzt die gegenüberliegenden Nervenfasern des Hörnervs aktivieren, wodurch die Schallinformationen als Nervenimpulse zum Gehirn weitergeleitet werden.

Die Göttinger Wissenschaftler*innen sind in ihrer Studie der Frage nachgegangen, wie die elektrische Entladung der Zelle einzelne Synapsen zur Freisetzung von Botenstoffen aktiviert. Die Ergebnisse zeigen, dass immer ein Kalzium-Kanal und ein Vesikel eine funktionelle Einheit bilden. Jeder der auf den Vesikeln befindlichen Kalzium-Sensoren, die für die Botenstoff-Freisetzung sorgen, muss dabei offenbar vier Kalzium-Ionen binden, bevor schließlich Botenstoffe an die benachbarte Nervenzelle des Hörnervs gesendet werden.

„Wir konnten erstmals die Kopplung von Kalzium-Kanälen und Botenstoff-Freisetzung an einzelnen Haarsinneszell-Synapsen mit höchster zeitlicher Auflösung untersuchen. Auf diese Weise konnten wir die nur wenige tausendstel Sekunden andauernde erste Phase der Freisetzung erfassen“, sagt Dr. Lina María Jaime Tobón, die auch Mitglied des Hertha-Sponer-College des MBExC ist. „Dadurch ist es uns gelungen, die Anzahl der Kalzium-Ionen, die für eine Freisetzung an den Sensor synaptischer Vesikel binden müssen, verlässlich zu bestimmen.“ „Dieser Durchbruch ist ein spannendes Beispiel für die Arbeiten im Exzellenzcluster MBExC“, sagt Prof. Dr. Tobias Moser, Senior-Autor der Publikation. „Unsere vorherigen Arbeiten hatten bereits erste Hinweise auf eine enge räumliche Kopplung der Glutamat-Freisetzung eines synaptischen Vesikels an den Kalziumeinstrom durch benachbarte Kalzium-Kanäle gegeben. Die hohe Sensitivität der hier durchgeführten Messungen bietet nun die genaueste uns bekannte Quantifizierung dieses Prozesses, der sich in Größenordnungen von wenigen millionstel Millimetern abspielt“, so Prof. Moser.

Quelle: Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität

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